Gießen. Der herbstliche Vogelzug der Kraniche ist eines der eindrucksvollsten Naturschauspiele des Jahres. Tausende Zugvögel machen derzeit auf ihrem Weg in den Süden eine Rast in Mittelhessen – vor allem in den Auen von Lahn, Wieseck, Ohm, Wetter und Horloff. Dort sammeln Kraniche, Kiebitze und Störche neue Kräfte für ihren kräftezehrenden Weiterflug. Diesmal wird die Faszination des Vogelzugs aber von einem ernsten Hintergrund überschattet: Unter den rastenden Zugvögeln wurden in mehreren Landkreisen Fälle der Vogelgrippe (Aviäre Influenza) festgestellt. Betroffen sind bisher vor allem Kraniche und Singschwäne.
Um eine weitere Ausbreitung der sich dynamisch entwickelndenTierseuche zu verhindern und ein schnelles Handeln der örtlichen Kräfte zu ermöglichen, hat das Regierungspräsidium (RP) Gießen mit drei Allgemeinverfügungen einen klaren Handlungsrahmen für den Umgang mit erkrankten oder verendeten Wildvögeln festgelegt. In Schutzgebieten sind Spaziergänger und Hundehalter aufgerufen, Zugvögelgruppen aus Seuchenschutz- und Naturschutzgründen zu meiden und nicht unnötig zu beunruhigen. Denn: In den Schutzgebieten der fünf Landkreise des Regierungsbezirks liegen die wichtigsten Rückzugs- und Rastflächen Mittelhessens für zahlreiche Vogelarten.
Klarheit für alle Beteiligten geschaffen
Schutzgebiete sind abgegrenzt und dienen vorrangig dem Erhalt der Natur, der Artenvielfalt und natürlichen Ressourcen. Sie spielen eine wichtige Rolle für den Naturschutz und die Landschaftspflege und bringen es deshalb mit sich, dass die menschliche Nutzung eingeschränkt ist. In Mittelhessen gibt es verschiedene Schutzgebiete, darunter Naturschutzgebiete und die EU-weiten Natura 2000-Gebiete, zu denen die FFH-Gebiete und die EU-Vogelschutzgebiete gehören. FFH-Gebiete dienen dem Schutz gefährdeter Arten und Lebensräume, während Vogelschutzgebiete speziell dem Schutz von Vogelarten gewidmet sind.
„Damit schaffen wir Klarheit für alle an der Seuchenbekämpfung Beteiligten. Unser Maßnahmenpaket erlaubt schnelles, entschlossenes Handeln, aber stets mit größtmöglicher Rücksicht auf die empfindlichen Lebensräume unserer Zugvögel“, erklärt Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich. „Die Devise lautet: So schnell wie nötig, so schonend wie möglich.“
Einsatzkräfte der zuständigen Veterinärämter der fünf mittelhessischen Landkreise und die örtlichen Gefahrenabwehrbehörden sind nun befugt, Kadaverbergungen- und Nachsuchen in Schutzgebieten ohne gesonderte Abstimmung mit den Schutzgebietsverwaltungen durchzuführen. Sie können dabei ab sofort unbürokratisch modernste Drohnentechnik zur Suche nach erkrankten und toten Tieren einsetzen. Auch ist es den jeweiligen Jagdausübungsberechtigten nun erlaubt, erkrankte und potentiell mit dem Virus infizierte Kraniche und Singschwäne von ihrem Leid zu erlösen. Dies dient ebenfalls dem Zweck, eine weitere Ausbreitung der Tierseuche zu verhindern.
Bei Annäherung an verendete oder erkrankte Tiere sollen bestehende Wege und Zugänge so weit wie möglich genutzt werden, um Pflanzen, Böden und Tierwelt zu schonen. Fahrzeuge dürfen nur auf ausgewiesenen Wegen oder Parkflächen abgestellt werden. Falls der Einsatz von Booten erforderlich ist, sind vorhandene Einstiegsstellen zu bevorzugen, um sensible Uferbereiche wie Schilfflächen zu vermeiden. Bergungsarbeiten sollen zeitnah, jedoch vor 16 Uhr erfolgen, um Ruhestörungen rastender Vogelgruppen zu vermeiden. Die Zahl der Einsätze im Gelände ist auf das notwendige Minimum zu begrenzen.
Zur Zwischenlagerung und zum Abtransport verendeter Tiere dürfen die Einsatzkräfte offizielle Rettungspunkte, Parkplätze oder geeignete Wegabschnitte nutzen. Dort können Container oder Sammelbehälter ohne gesonderte Abstimmung mit dem Schutzgebietsmanagement aufgestellt werden. Der Transport der Tierkörper vom Fundort zu den Sammelpunkten soll nach Möglichkeit von Hand oder mit Schubkarren erfolgen, um Fahrten im Gelände zu vermeiden und die Natur zu schonen.
Die drei Allgemeinverfügungen sind auf der Homepage des Regierungspräsidiums Gießen unter „Öffentliche Bekanntmachungen“ zu finden: https://rp-giessen.hessen.de/ansprechen/oeffentliche-bekanntmachungen/oeffentliche-bekanntmachungen-suche/seuchenbekaempfungsmassnahmen-vogelgrippe.
Hintergrund: Vogelgrippe in Mittelhessen
Die Rastgebiete entlang von Lahn, Wieseck, Ohm, Wetter und Horloff zählen zu den wichtigsten Zwischenstationen des Kranichzugs in Hessen. Neben Kranichen nutzen auch Störche, Enten und Kiebitze diese Feuchtgebiete, um Kraftreserven für den Weiterflug in den Süden aufzubauen. In grenzübergreifenden Schutzgebieten im südlichen Bereich des Regierungsbezirks wurden zuletzt vermehrt infizierte oder verendete Tiere aufgefunden.