Gießen/Steffenberg. Le Mans, Formel 1, Rallye Paris-Dakar – wenn es um die Champions League im Motorsport geht, ist Becker CAD-CAM-CAST oft beteiligt. Das Steffenberger Unternehmen im Landkreis Marburg-Biedenkopf als Leichtmetallgießerei zu bezeichnen, wäre eine bescheidene Untertreibung. Unauffällig werden in dem Zweckbau im Ortsteil Quotshausen mit modernster Technik ganze Motoren als Prototypen oder in Kleinserie hergestellt. Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich besucht regelmäßig mittelhessische Städte und Gemeinden, um mit Bürgermeistern und örtlichen Mandatsträgern ins Gespräch zu kommen. Diesmal ist Steffenberg das Ziel.
Apropos Ziel: Warum besucht der Regierungspräsident nach und nach die 101 Städte und Gemeinden im Regierungsbezirk der fünf mittelhessischen Landkreise? „Es geht darum, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen und zu erfahren, was die Kommunalpolitik vor Ort bewegt“, sagt er im Sitzungssaal des Rathauses. Denn in der war Christoph Ullrich selbst jahrelang Zuhause. Dabei sind im Steffenberger Rathaus neben dem Gemeindevorstand auch die Fraktionsvorsitzenden. Vorausgegangen ist ein Gespräch mit Bürgermeister Gernot Wege, der die Diskussion moderiert.
RP Ullrich berichtet zunächst von der Aufgabenvielfalt seiner Behörde mit rund 1500 Beschäftigten: von A wie Arbeitssicherheit über Bergbau, Naturschutz, oberirdisches Gewässer oder Verbraucherschutz bis Z wie Zuwanderung. „Mit Sicherheit hat jede für uns übergeordnete Behörde ihre Berechtigung“, sagt Bürgermeister. „Dennoch muss im Sinne der Kommunen darauf geachtet werden, dass Gesetze, Erlasse und Verordnungen, wo immer möglich reduziert und ein konsequenter Bürokratieabbau im Sinne der Menschen und Unternehmen vor Ort forciert wird.“ Der offene Austausch führt über Erfahrungen im Genehmigungsverfahren für das Hochwasserrückhaltebecken in Steffenberg zur Integration von Asylsuchenden, eher allgemein über das Thema Elterngeld und Windenergieanlagen bis konkret zur geplanten Verlegung des Stromkabels für eine geplante Photovoltaikanlage auf dem ehemaligen Sportplatz Steinperf. Ebenfalls aus diesem Ortsteil wird kritisch und konstruktiv über die bisherige und künftige Entwicklung des Steinbruchs diskutiert. Eine besondere Ehre ist für Regierungspräsident Ullrich ein Eintrag ins Goldene Buch der Gemeinde.
Nach eineinhalb Stunden folgt der Ortswechsel zum Unternehmen Becker CAD-CAM-CAST, auf deren Produkte kurz BCCC prangt. Mit diesem Kürzel ist es in der Motorsportszene weltweit bekannt. Seit Jahresbeginn hat Martin Höck die Firma im Ortsteil Quotshausen übernommen. Im Eingangsbereich ist als Ausstellungsmodell das zu sehen, worum sich alles hier dreht: die Perfektion eines Motors. In der Praxis muss alles mit- und aufeinander wirken, vom Zylinderkopf, der den Motorblock abdeckt, in dem Ventile und andere Teile der Verbrennungskammer arbeiten, über das Schmiersystem bis zum Abgassystem. Ein Symbol dafür ist der ausgestellte V8-Motor für den Porsche 918 mit 4,6 Liter Hubraum und über 600 PS, der bei Becker CAD-CAM-CAST in Kleinserie – nämlich exakt 918 Stück – bis vor zehn Jahren hergestellt worden ist.
„Unsere Wissen- und Wirtschaftsregion lebt von innovativen und leistungsfähigen Unternehmen mit höchsten Ansprüchen an ihre Produkte, genau wie dieses hier eines ist“, sagt Regierungspräsident Ullrich während des Rundgangs durch die Produktionshallen. Oft begegne er verborgenen Perlen in der Region. „Die erfüllen exklusivste Anforderungen auf dem Weltmarkt, in Mittelhessen aber sind sie kaum bekannt.“ Auch das ist ein Ziel seiner Gemeindebesuche: „Wir müssen mehr über unsere Erfolge sprechen.“
Zum 1. Januar erfolgte die Geschäftsübernahme durch Martin Höck. Er kommt ursprünglich aus dem mittelhessischen Kirchhain Stausebach und hatte nach Wanderjahren und viel gesammelten Erfahrungen die Windschiegl Maschinenbau GmbH im oberpfälzischen Windischeschenbach in Bayern übernommen. Das fertigt mit 75 Beschäftigten neben Nockenwellen im Bereich Motorsport und Retro-Classic auch Produkte unter anderem für Blockheizkraftwerke oder auch Zahnräder und Getriebe. Motorblöcke und Zylinderköpfe werden ebenfalls dort bearbeitet.
„Eins und eins gibt drei“, fasst Martin Höck den Grund für die Übernahme von Becker CAD-CAM-CAST zusammen. „Was die Familie Becker um den Gründer Michael Becker aufgebaut hat, werden wir genauso weiter betreiben.“ Die Mitarbeiter habe er alle übernommen. Um die 85 Beschäftigten und internen Abläufe wirklich kennenzulernen, arbeitete der neue Managing Director zwei Monate in allen Abteilungen mit. Gemeinsam wachsen und künftige Geschäftsfelder erschließen, „überall, wo Bewegung drin ist“, das ist für ihn die Herausforderung, um sich von Mitbewerbern abzusetzen. Das können dann auch Rolltreppen oder Treppenlifte sein.
Als Engineering-Büro hatte Becker CAD-CAM-CAST begonnen und da liegt heute noch die große Stärke. „Das ist unsere Kompetenz, zu beurteilen, ob die Vorstellung unserer Kunden auch in der Praxis funktioniert“, erläutert Martin Höck. Dabei helfen 3D-Daten- und Kleinmodelle – und: jahrzehntelange Erfahrung. Firmen in der Automobilindustrie, im Motorsport, Motorenentwickler und Gießereien zählen weltweit zu den Kunden. Auf jedem ausgelieferten Motorblock ist „BCCC“ und eine fortlaufende Nummer mit eingegossen. Dazu Martin Höck: „Das, was wir ausliefern, das ist kompromisslose Qualität. Unser Thema ist Verbindlichkeit und Verlässlichkeit.“
Über 30 Jahre hat sich das Unternehmen entwickelt und dabei drei Schwerpunkte. Da ist zum einen das Engineering mit CAD-gestützter Konstruktion von Bauteilen, Computersimulationen zur Überprüfung und Werkzeugkonstruktion für Gussformen und Modelle. Eine zweite Säule macht die Gussfertigung aus. Zu der zählen: Prototypen- und Kleinserienguss, Verarbeitung anspruchsvoller Materialien und eine hohe Prozesssicherheit durch Inhouse-Kontrolle. Additives Manufacturing ist der dritte Schwerpunkt mit Selektivem Laserschmelzen (SLM) für Metallteile, Sanddrucker für Gussformen sowie 3D-Farbdrucker für Visualisierungen und Modelle. Egal aus welchem Bereich des Unternehmens: „Auf unsere Produkte gibt es einen Handschlag und Garantie darauf“, sagt Martin Höck.
Genau diese Begeisterung ist es, die sich der Gießener Regierungspräsident von einer selbstbewussten Region wünscht. „Diese Präzision und Leidenschaft, wie sie hier im Unternehmen umgesetzt wird, übt nicht nur auf motorbegeisterte Menschen eine ungeheure Anziehungskraft aus. Sie demonstriert auch, wie viel Potenzial und Talente wir hier in Mittelhessen haben, sei es in den Betrieben oder in den Hochschulen“, betont RP Ullrich am Ende des Besuchs. Zugleich lautet sein Appell: „Machen wir uns dies bewusst und engagieren wir uns bestenfalls noch wahrnehmbarer als Lobbyisten unserer Heimat.“