Gießen/Solms. Sei es die einstündige Gruben- oder vierstündige Wetterüberhauentour: nach der Winterpause geht es für die Grube Fortuna seit dem 15. März wieder in den Besucherbetrieb. Egal für welches der vielen Angebote man sich entscheidet, das Besucherbergwerk in Solms-Oberbiel ist ein Erlebnis vor der mittelhessischen Haustür, das es so europaweit kein zweites Mal gibt. Dem Eisenerz auf der Spur geht es im Bergwerk mit dem originalen Förderkorb bis zu 150 Meter in die Tiefe. Oder die Gäste nutzen das Angebot für Tagungen und Veranstaltungen – neuerdings auch untertage. Das ist aber nur möglich, wenn die zuständige Bergbehörde das Besucherbergwerk beanstandungsfrei abgenommen hat. In dem Fall ist es das Dezernat Bergaufsicht beim Regierungspräsidium (RP) Gießen.
Nachfolger direkt mitgebracht
Aber diesmal ist es etwas anders. Heute ist für Ralf Ukleja die letzte Einfahrt als Aufsichtsbeamter in die Grube Fortuna, denn in wenigen Tagen wird er seinen aktiven Dienst beenden. Entsprechend hat der RP-Mitarbeiter mit Johannes Bork seinen Nachfolger direkt mitgebracht, denn nur vor Ort kann eine Übergabe wirklich gut funktionieren. Ralf Ukleja weiß, wovon er spricht, denn er war selbst unter Tage. Als Kind des Ruhrgebietes sammelte er seine ersten bergmännischen Erfahrungen im Steinkohlebergbau. Nach dem Bergbaustudium und dem anschließenden Referendariat führte es ihn vor 33 Jahren nach Hessen, zum damaligen Bergamt in Weilburg. Der Bergaufsicht, inzwischen unter dem Dach des Regierungspräsidiums, ist er treu geblieben.
Zur Abnahme, die nach der als zweimonatigen Reparatur- und Wartungsphase inklusive Gleisbau notwendig ist, dreht sich zunächst alles um Unterlagen wie Prüfbescheinigungen für Anlagenteile, TÜV-Berichte zur wiederkehrenden elektrischen Prüfung sowie die Abnahme der Seilfahrtanlage durch die DMT, einer Tochter des TÜV Nord. Auch die Abnahme des Elektrosachverständigen liegt vor, genauso wie die Teilnehmerliste der vorgeschriebenen Notfallübungen, Fluchtwegbefahrungen und Erste-Hilfe-Schulungen. Der Ordner ist voll und die Unterlagen sind einwandfrei geführt.
Dann geht es richtig los, allerdings erst einmal in die Höhe und nicht in die Tiefe. Das Fördermaschinenhaus befindet sich etwa 200 Meter oberhalb des Zechenhauses. Dort ist ein neuer Fördermaschinist tätig, der von seinem Fahrstand aus mit mehreren Hebeln den Förderkorb im Schacht unter sich nach oben und unten bewegt. Über die mannshohe Fördermaschine rollt das mehr als daumendicke, geschmierte Förderseil. Das wird täglich kontrolliert, weil es besonders schwere Lasten sicher zu tragen hat. Die originale Technik früherer Industrietage aus dem Jahr 1958 funktioniert präzise und zuverlässig. Dafür sorgen auch zig Sicherheitsmechanismen, von der Kommunikation über Funk bis zur elektronischen Sicherheitsschranke im Förderkorb selbst.
Der steht als nächstes auf dem Programm. Schnell lernt der unwissende Besucher, dass Bergleute ein spezielles Vokabular haben und dass der Eingang nicht Eingang, sondern Stollenmundloch heißt. Der Stolz einer jahrhundertealten Zunft hat sich in die Sprache eingegossen. Hinab geht es mit dem Förderkorb auf eine Tiefe von 100 Meter, ein Bereich, der zu den Extra-Touren gehört. Auch hier haben die Männer von der RP-Bergaufsicht an der einen oder anderen Stelle noch Detailfragen, die versiert beantwortet werden.
Dann geht es um weitere 50 Meter in die Tiefe zum Haupt-Besucherbereich. Insgesamt 32 Kilometer lang sind die Strecken auf den fünf Sohlen des Bergwerks. Ralf Ukleja hat vor allem ein Auge auf Details wie Absturzsicherungen in links und rechts steil hinabführende sogenannte Rolllöcher. „Die verschiedenen Touren sollen dem Besucher einen authentischen Eindruck des früheren Bergbaus vermitteln, aber zugleich sollen zum Beispiel die Sicherungen bei einem vernunftbegabten Menschen dafür sorgen, dass er nicht hinabstürzen kann“, sagt er.
Auf der Grubenbahn führt der Weg fast einen halben Kilometer weiter bis in den Nordlagersattel in den Berg hinein. Während des Rundgangs zeigt sich ein Museum unter Tage mit Werkzeugen vor allem aus dem 20. Jahrhundert, vom handlichen Bohrer bis zum dieselbetriebenen Fahrlader. Kleine Tropfsteine hängen herab. Feuchtigkeit ist immer ein Thema im Bergbau. Nicht umsonst ist die Grube Fortuna einer der größten Trinkwasserlieferanten der Stadt Wetzlar.
Seltene Einblicke in mittelhessische Industriegeschichte
Ralf Ukleja kontrolliert die in einer Nische platzierte Trage und Erste Hilfe-Koffer. Ziel ist das sogenannte Wetterüberhauen im Dernbachtal. Dieses dient heute mit seinen 20 Leitern als Abschluss der langen Wetterüberhauentour sowie als Flucht- und Rettungsweg. Auf dem Weg dahin über diverse Strecken und Fahrten (Leitern) erhält der Besucher seltene Einblicke in die mittelhessische Industriegeschichte.
Schwerpunkt der Befahrung sind in diesem Jahr die redundanten Möglichkeiten der Kommunikation. Neben einem hochmodernen Glasfasernetz gibt es batteriebetriebene, drahtgebundene Telefone und zusätzlich Funkgeräte. So kann sichergestellt werden, dass auch bei einem Stromausfall oder dem Defekt eines Systems immer eine Kommunikation mit über Tage möglich ist.
Körperlich anspruchsvoll wird es am Ende der vierstündigen Abnahme, als es im Schacht über 20 „Fahrten“ (Leitern) rund 100 Meter in die Höhe geht. „Immer nur einer auf der Fahrte und maximal drei Leute auf den Ruhebühnen“, lautet die Sicherheitsansage. Nach der Rückkehr an die Erdoberfläche beginnt für alle Teilnehmer ein neuer Abschnitt. Die Verantwortlichen des Vereins Geowelt Fortuna e. V., des Trägers des Besucherbergwerks, gehen in eine neue Besuchersaison, Johannes Bork startet in seine neue Aufgabe und Ralf Ukleja hängt nach über 30 Jahren im Dienst den Helm an den Haken und gibt die Grubenlampe an seinen Nachfolger weiter.
Über 35 Jahre ist das Besucherbergwerk geöffnet und hat sich seitdem immer weiterentwickelt. Der Verein hat fünf hauptberufliche Mitarbeiter und 22 Aushilfskräfte, die alle ausschließlich gegen Entlohnung im Besucherbetrieb eingesetzt werden.„Für Mittelhessen ist die Grube Fortuna eine sehr wichtige Attraktion, weil sie sowohl Schulklassen als auch deutsche wie internationale Touristen in unsere Region lockt“, betont Ralf Ukleja und lobt den Einsatz aller Beteiligten, die das Besucherbergwerk am Laufen halten. „Empfehlenswert ist übrigens auch der Besuch des Feld- und Grubenbahnmuseums sowie der Grubengaststätte im Zechenhaus.“
Zur Geschichte der Grube Fortuna
1847 fand das Eisenerzvorkommen im späteren Abbaubereich erstmals Erwähnung in den Bergamtsakten. 1983 ist das Bergwerk nach 136 Jahren geschlossen worden. Heute fahren etwa 15.000 Besucherinnen und Besucher jährlich in das Besucherbergwerk ein, das auch als GeoInformationszentrum des Nationalen GEOPARK Westerwald-Lahn-Taunus fungiert. Außerdem ist es ein Teil der Route der Industriekultur Mittelhessen sowie der einzige hessische Ankerpunkt im Netzwerk Europäische Route der Industriekultur. Seit 1987 entstand auf dem Gelände das Feld- und Grubenbahnmuseum Fortuna (FGF) mit 60 Lokomotiven, über 100 Wagen und einem 2-km-Schienenrundkurs. Darunter sind Feldbahn-, Grubenbahn- und Kleinbahnfahrzeuge. Jedes Jahr finden etwa zehn Fahrtage statt.
Tickets für das Besucherbergwerk lassen sich einfach und schnell unter grube-fortuna.de buchen. Informationen über die Aufgaben der Bergaufsicht im RP Gießen sind unter rp-giessen.hessen.de zu finden.