Gruppenbild zum Besuch aus dem Regierungspräsidium Gießen (v.l.): Dezernatsleiter Dr. Jens Gerlach, Jan-Eric Walb, Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich, Institutsleiter Prof. Dr. Stephan Becker, Dr. Olga Dolnik und Laborleiter Dr. Markus Eickmann.

Regierungspräsidium Gießen

„Mit dem, was Sie hier machen, sind Sie quasi ein Großkunde“

Regierungspräsident Ullrich besucht Institut für Virologie der Philipps-Universität Marburg – Besichtigung von bestehendem Hochsicherheitslabor und Informationen rund um die Arbeiten am Neubau

Gießen/Marburg. Der weltweite Ausbruch des Coronavirus COVID-19 scheint im Strom nachfolgender Ereignisse zu verblassen. Es wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein, sind sich Fachleute aber sicher. Eine Lehre, die daraus gezogen worden ist: Die Forschung an Viren muss forciert werden. An der Philipps-Universität Marburg gibt es seit 18 Jahren schon auf dem Campus Lahnberge ein Labor der höchsten Sicherheitsstufe S4. Genehmigt worden und überwacht wird es vom Gentechnikdezernat im Regierungspräsidium (RP) Gießen.

Während dort unter strengsten Sicherheitsvoraussetzungen geforscht wird, wächst wenige Meter weiter ein Neubau empor. Im Oktober 2024 wurde der Grundstein gelegt. Über den Fortschritt und den Stand des laufenden Verfahrens informierte sich Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich beim Besuch im Rahmen seiner Sommertour. Begleitet wurde er von Dezernatsleiter Dr. Jens Gerlach und Jan-Eric Walb, Ansprechpartner beim RP Gießen, wenn es um die Wirtschafts- und Bildungsregion Mittelhessen geht.

RP Gießen mit landesweiter Zuständigkeit

„Mit dem, was Sie hier machen, sind Sie quasi ein Großkunde.“ Was Regierungspräsident Ullrich im Seminarraum des Instituts für Virologie augenzwinkernd sagt, hat einen sehr ernsten Hintergrund. Bis die Philipps-Universität mit der Arbeit im ersten S4-Labor starten konnte, ging jahrelange Vorbereitung voraus. Schließlich handelte es sich damals um eine Premiere: Das Genehmigungsverfahren nach Gentechnikgesetz für eine Anlage der höchsten Sicherheitsstufe 4 (siehe hierzu auch unten den Info-Kasten) war das erste in Deutschland. „Hier haben wir eine landesweite Zuständigkeit für ganz Hessen“, erklärt der verantwortliche Dezernatsleiter Jens Gerlach. Von den ersten Gesprächen bis zur Aufnahme der ersten gentechnischen Arbeiten im Jahr 2007 vergingen alleine fünf Jahre.

Prof. Dr. Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie, erläutert während seiner Einführung den wissenschaftlichen Hintergrund: „Wir beschäftigen uns hier mit Viren, die schwere, manchmal tödliche Infektionen beim Menschen auslösen.“ Aber auch bei der Coronapandemie war das Institut für Virologie intensiv an der Bekämpfung des neuen Virus beteiligt. Immer wenn Viren von Tieren auf Menschen überspringen und dort schwere Erkrankungen verursachen, werden die Marburger Forscherinnen und Forscher gefragt. So etwa bei Ausbrüchen von Ebola- oder Lassaviren, die seit dem Jahrtausendwechsel häufiger von sich reden machten. In der Fachsprache werden sie emerging viruses genannt, die rasches Handeln notwendig machen, damit Menschenleben gerettet werden können.

Verantwortlich für die Gefahr einer schnellen Ausbreitung gefährlicher Viren sind laut Institutsleiter Becker global schnelle Transportwege. „Wir sind weltweit sehr gut vernetzt.“ Bisweilen durch Flugverbindungen etwas zu gut. Dadurch werden Infektionen noch in der Inkubationszeit durch Reisende von weit entfernten Ländern nach Europa und damit auch nach Deutschland transportiert. „Wir müssen uns mit Viren auseinandersetzen, die weltweit neu auftreten.“ Eine Frage beschäftigt die Wissenschaft dabei besonders: „Manche Viren, die gefährliche Erkrankungen auslösen, werden von Tieren auf den Menschen übertragen. Interessanterweise werden die Tiere nicht krank, der Mensch aber schon: Woran das liegt, ist einer unserer Forschungsschwerpunkte.“

Diese Arbeiten hatten in der Entdeckung des Marburgvirus im Jahr 1967 ihren Ausgang genommen. Neben der Forschung findet in dem Institut für Virologie auch die theoretische und praktische Ausbildung von Studierenden statt. Außerdem führt es auf dem Gebiet der Krankenversorgung virusdiagnostische Untersuchungen für das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) durch.

Entscheidend bei der Forschung an gefährlichen Viren ist, dass die Sicherheitsbedingungen stimmen. Das gilt für das aktuelle und auch für das neue, im Bau befindliche Hochsicherheitslabor. Prof. Becker: „Es darf aus den Laboren kein Virus in die Umgebung freigesetzt werden, egal zu welchem Zeitpunkt.“ Technisch gesehen ist das Hochsicherheitslabor in Modulbauweise aus Edelstahl wie ein Container innerhalb des Gebäudes errichtet – und komplett dicht.

„Wir sind ein Innovationshub“

Das Institut für Virologie ist damit ein Kompetenzzentrum mit einem einzigartigen Profil in der Diagnostik und Erforschung hochinfektiöser Viruserkrankungen. Oder wie es Stephan Becker formuliert: „Wir sind ein Innovationshub.“ Ein Umstand, den Regierungspräsident Ullrich hervorhebt: „Wir haben eine Hochschuldichte wie in keiner anderen Region in Deutschland.“ Darauf mache er immer wieder aufmerksam. „Mittelhessen wird in seiner Bedeutung gerne unterschätzt, sowohl als Wirtschafts-, aber eben auch als Wissenschaftsstandort, wie dieses Beispiel hier sehr deutlich zeigt.“ Stattdessen könne selbstbewusst auf Bestehendes und das noch Kommende verwiesen werden.

Laborleiter Dr. Markus Eickmann (3.v.l.) erläutert zusammen mit Dr. Olga Dolnik (r.) sowie den Technikern Gotthard Ludwig und Sebastian Schmidt den Gästen vom Regierungspräsidium Gießen den Zugang zum S4-Hochsicherheitslabor am Institut für Virologie der Philipps-Universität Marburg: Dr. Jens Gerlach (l.), Jan-Eric Walb (2.v.l.) und Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich (4.v.l.).
Laborleiter Dr. Markus Eickmann (3.v.l.) erläutert zusammen mit Dr. Olga Dolnik (r.) sowie den Technikern Gotthard Ludwig und Sebastian Schmidt den Gästen vom Regierungspräsidium Gießen den Zugang zum S4-Hochsicherheitslabor am Institut für Virologie der Philipps-Universität Marburg: Dr. Jens Gerlac

Dr. Markus Eickmann, Leiter des S4-Hochsicherheitslabors und technik- und sicherheitsverliebter Biologe, wie er sich selbst bezeichnet, ist es, der die Besucher aus dem Regierungspräsidium zusammen mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin PD Dr. Olga Dolnik durch das S4-Labor führt. Der Eintritt in das Hochsicherheitsgebäude erfolgt über eine Brücke vom Institut für Virologie. Nachdem zwei Sicherheitstüren passiert wurden und das Betreten des Gebäudes dokumentiert wurde, betritt man den Sicherheitskorridor, der um das gesamte Labor führt und den Blick in die Arbeitsräume erlaubt. Hier müssen die Besucher zurückbleiben, in das Labor dürfen nur voll ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Alle, die im Labor arbeiten, sind durch ein Headset mit den anderen Wissenschaftlern und den Technikern verbunden. Im Labor wird ein gelber Vollschutzanzug getragen, den permanent saubere Luft durchströmt und dadurch in dem Anzug einen leichten Überdruck erzeugt. Der Luftstrom verursacht dabei ein konstantes Hintergrundgeräusch etwa wie von einem im Leerlauf laufenden Auto, wie Dr. Eickmann erläutert. Das Labor und der Sicherheitskorridor werden kontinuierlich von Kameras überwacht.

In die zwei Labore mit einer Fläche von 180 Quadratmetern führt eine vierkammrige Schleuse. Zwei Techniker sind für die Wartung und Instandhaltung des gesamten Gebäudes verantwortlich. „In 17 Jahren waren wir nur drei Tage nicht in Betrieb“, berichtet Markus Eickmann. Von rund 90 Beschäftigten am Institut für Virologie, arbeiten aktuell 32 in dem Sicherheitslabor, davon bis zu sechs Personen gleichzeitig. Im Jahr kommen in Summe etwas mehr als 2500 Laborstunden zusammen. In dem Labor arbeiten während des Rundgangs zwei Mitarbeiterinnen an den Labortischen. Die Möglichkeit von dem Sicherheitskorridor ins Innere des Labors zu schauen dient auch der Sicherheit des Personals, falls während der Arbeit ein medizinischer Notfall auftritt.

Neubau wächst in die Höhe

Währenddessen wächst nur wenige Meter entfernt das neue Hochsicherheitslabor in die Höhe, von dem schon jetzt das erste Stockwerk zu sehen ist – zwei weitere werden noch folgen. Die Fassade des Gebäudes wird schließlich durch Solarpanele dominiert. Grund für den Neubau ist die Anzahl der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, die während der vergangenen Jahre stark gestiegen ist. Das aktuelle Hochsicherheitslabor erreichte damit seine räumlichen Kapazitätsgrenzen. Neue Technologien und der wachsende Bedarf an Mitarbeitenden erforderten außerdem zusätzlichen Raum. Das bestehende Labor soll nach Inbetriebnahme des Neubaus generalüberholt und anschließend weiter für die virologische Forschung genutzt werden.

Die Genehmigung zur Teilerrichtung für den Neubau mit seiner verdoppelten Laborfläche von rund 350 Quadratmeter hatte das RP Gießen bereits erteilt. „Das heißt“, sagt RP-Mitarbeiter Jens Gerlach, „der Rohbau darf gebaut werden, die abschließende Fertigstellung des Gebäudes und die technische Ausstattung wird im aktuell laufenden Genehmigungsverfahren für die Einrichtung und den Betrieb geprüft.“ Das neue Labor soll das bisherige ergänzen und ein flexibleres Arbeiten mit größeren Forschungsgeräten ermöglichen. Der Bund investiert etwa 19 Millionen Euro in den Bau, das Land Hessen fördert ihn mit rund 27 Millionen Euro. Die Gesamtkosten für das neue Forschungslabor werden auf derzeit etwa 50 Millionen Euro veranschlagt, inklusive Erstausstattung und Großgeräte. Dabei fließen mehr als zwei Drittel der gesamten Baukosten in die technische Ausstattung.

Zum Jahresende sollen die Rohbauarbeiten abgeschlossen werden. „Wir sind auf einem guten Weg. Wenn alle Unterlagen vorliegen: plus zwei Monate“, lautet die zeitliche Prognose aus dem RP Gießen. Das Labor, in dem Arbeiten mit Viren durchgeführt werden, nimmt lediglich eine Etage im ersten Stock ein. Die weiteren Stockwerke sind den aufwendigen technischen Anlagen der Infrastruktur vorbehalten – genau wie bei dem bereits existierenden Labor. Leiter Markus Eickmann geht davon aus, dass in einem Jahr im „kalten Betrieb“ gestartet werden kann. RP-Mitarbeiter Jens Gerlach ergänzt: „Das bedeutet, es muss in der Phase dann gezeigt werden, dass die Laborarbeit risikofrei funktioniert.“ Das Genehmigungsverfahren verlaufe grundsätzlich sehr positiv.

„Was hier gerade entsteht, ist eine Investition in die Zukunft mit einer herausragenden Bedeutung für die virologische Forschung zu Epidemien und deren Prävention“, betont Regierungspräsident Christoph Ullrich, am Ende des Informationsbesuchs angekommen. „Globale Gesundheitskrisen werden uns nicht erst zukünftig vor unbekannte Herausforderungen stellen, das ist bereits jetzt der Fall.“ Auch das Regierungspräsidium Gießen habe das zu spüren bekommen, als es die Produktionsanlage des COVID-19-Impfstoffs in Rekordzeit genehmigt hatte, die ebenfalls in Marburg steht. „Die Forschung kann dazu beitragen, dass wir als Gesellschaft künftig besser vorbereitet sind.“ Das sei eine wesentliche Erkenntnis aus der Zeit der jüngsten Pandemie.

Stichwort: S4-Labor

In einem Labor der höchsten Schutzstufe (S4) können hochpathogene Krank­heits­erreger wie Ebola-, Lassa- und Marburg-Viren sicher untersucht werden. Neben dem Marburger Labor gibt es in Deutschland nur noch in Berlin, Hamburg und auf der Insel Riems Labore mit der höchsten Sicherheitsstufe. Die Voraussetzung für eine Einrichtung und den Betrieb sind im Gentechnikgesetz geregelt. Demnach muss es unter anderem eine eigene Luft-, Strom- und Wasserversorgung besitzen, also autark sein, und sich in einem alleinstehenden Gebäude befinden. Mehrstufige Sicherheitssysteme sorgen dafür, dass keine Erreger ins Freie gelangen. Die technischen Systeme und Geräte werden in einer längeren Testphase überprüft und Arbeitsabläufe, Wartungs- sowie Notfallprozesse intensiv trainiert.

Gearbeitet wird in einem S4-Labor sowohl diagnostisch als auch in der Forschung. Bei importierten, hoch ansteckenden Krankheiten ist eine schnelle Diagnostik notwendig, um über Maßnahmen einer Quarantäne und Möglichkeiten zur Behandlung entscheiden zu können. Ein S4-Labor ermöglicht den sicheren Umgang mit solchen Patientenproben. Darüber hinaus können Wissenschaftler darin sicher hochpathogene Erreger und deren Bekämpfung gezielt erforschen. 

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Oliver Keßler

Oliver Keßler

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