Gießen/Marburg. Der weltweite Ausbruch des Coronavirus COVID-19 scheint im Strom nachfolgender Ereignisse zu verblassen. Es wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein, sind sich Fachleute aber sicher. Eine Lehre, die daraus gezogen worden ist: Die Forschung an Viren muss forciert werden. An der Philipps-Universität Marburg gibt es seit 18 Jahren schon auf dem Campus Lahnberge ein Labor der höchsten Sicherheitsstufe S4. Genehmigt worden und überwacht wird es vom Gentechnikdezernat im Regierungspräsidium (RP) Gießen.
Während dort unter strengsten Sicherheitsvoraussetzungen geforscht wird, wächst wenige Meter weiter ein Neubau empor. Im Oktober 2024 wurde der Grundstein gelegt. Über den Fortschritt und den Stand des laufenden Verfahrens informierte sich Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich beim Besuch im Rahmen seiner Sommertour. Begleitet wurde er von Dezernatsleiter Dr. Jens Gerlach und Jan-Eric Walb, Ansprechpartner beim RP Gießen, wenn es um die Wirtschafts- und Bildungsregion Mittelhessen geht.
RP Gießen mit landesweiter Zuständigkeit
„Mit dem, was Sie hier machen, sind Sie quasi ein Großkunde.“ Was Regierungspräsident Ullrich im Seminarraum des Instituts für Virologie augenzwinkernd sagt, hat einen sehr ernsten Hintergrund. Bis die Philipps-Universität mit der Arbeit im ersten S4-Labor starten konnte, ging jahrelange Vorbereitung voraus. Schließlich handelte es sich damals um eine Premiere: Das Genehmigungsverfahren nach Gentechnikgesetz für eine Anlage der höchsten Sicherheitsstufe 4 (siehe hierzu auch unten den Info-Kasten) war das erste in Deutschland. „Hier haben wir eine landesweite Zuständigkeit für ganz Hessen“, erklärt der verantwortliche Dezernatsleiter Jens Gerlach. Von den ersten Gesprächen bis zur Aufnahme der ersten gentechnischen Arbeiten im Jahr 2007 vergingen alleine fünf Jahre.
Prof. Dr. Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie, erläutert während seiner Einführung den wissenschaftlichen Hintergrund: „Wir beschäftigen uns hier mit Viren, die schwere, manchmal tödliche Infektionen beim Menschen auslösen.“ Aber auch bei der Coronapandemie war das Institut für Virologie intensiv an der Bekämpfung des neuen Virus beteiligt. Immer wenn Viren von Tieren auf Menschen überspringen und dort schwere Erkrankungen verursachen, werden die Marburger Forscherinnen und Forscher gefragt. So etwa bei Ausbrüchen von Ebola- oder Lassaviren, die seit dem Jahrtausendwechsel häufiger von sich reden machten. In der Fachsprache werden sie emerging viruses genannt, die rasches Handeln notwendig machen, damit Menschenleben gerettet werden können.
Verantwortlich für die Gefahr einer schnellen Ausbreitung gefährlicher Viren sind laut Institutsleiter Becker global schnelle Transportwege. „Wir sind weltweit sehr gut vernetzt.“ Bisweilen durch Flugverbindungen etwas zu gut. Dadurch werden Infektionen noch in der Inkubationszeit durch Reisende von weit entfernten Ländern nach Europa und damit auch nach Deutschland transportiert. „Wir müssen uns mit Viren auseinandersetzen, die weltweit neu auftreten.“ Eine Frage beschäftigt die Wissenschaft dabei besonders: „Manche Viren, die gefährliche Erkrankungen auslösen, werden von Tieren auf den Menschen übertragen. Interessanterweise werden die Tiere nicht krank, der Mensch aber schon: Woran das liegt, ist einer unserer Forschungsschwerpunkte.“
Diese Arbeiten hatten in der Entdeckung des Marburgvirus im Jahr 1967 ihren Ausgang genommen. Neben der Forschung findet in dem Institut für Virologie auch die theoretische und praktische Ausbildung von Studierenden statt. Außerdem führt es auf dem Gebiet der Krankenversorgung virusdiagnostische Untersuchungen für das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) durch.
Entscheidend bei der Forschung an gefährlichen Viren ist, dass die Sicherheitsbedingungen stimmen. Das gilt für das aktuelle und auch für das neue, im Bau befindliche Hochsicherheitslabor. Prof. Becker: „Es darf aus den Laboren kein Virus in die Umgebung freigesetzt werden, egal zu welchem Zeitpunkt.“ Technisch gesehen ist das Hochsicherheitslabor in Modulbauweise aus Edelstahl wie ein Container innerhalb des Gebäudes errichtet – und komplett dicht.
„Wir sind ein Innovationshub“
Das Institut für Virologie ist damit ein Kompetenzzentrum mit einem einzigartigen Profil in der Diagnostik und Erforschung hochinfektiöser Viruserkrankungen. Oder wie es Stephan Becker formuliert: „Wir sind ein Innovationshub.“ Ein Umstand, den Regierungspräsident Ullrich hervorhebt: „Wir haben eine Hochschuldichte wie in keiner anderen Region in Deutschland.“ Darauf mache er immer wieder aufmerksam. „Mittelhessen wird in seiner Bedeutung gerne unterschätzt, sowohl als Wirtschafts-, aber eben auch als Wissenschaftsstandort, wie dieses Beispiel hier sehr deutlich zeigt.“ Stattdessen könne selbstbewusst auf Bestehendes und das noch Kommende verwiesen werden.