Gießen. Es gibt Ereignisse, die angesichts ihrer Gewalt erschüttern. Besonders die Menschen, die direkt betroffen sind. Viele bedürfen in dieser Situation einer schnellen Hilfe – und die kommt in solchen Fällen auch vom hessischen Traumatherapie-Netzwerk, ehemals OEG-Trauma-Netzwerk. Seit nunmehr neun Jahren bietet es Gewaltopfern psychotherapeutische Soforthilfe. „Im Vorjahr haben erneut viele Menschen die fachspezifische Behandlung in einer kooperierenden Trauma-Ambulanz in Anspruch genommen“, erklärt Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich anlässlich des Tags der Kriminalitätsopfer am Freitag, 22. März.
Mehr noch: Wer in Deutschland einen gesundheitlichen Schaden durch eine Gewalttat erlitten hat, kann Versorgungsleistungen nach dem Recht der Sozialen Entschädigung erhalten. Das Leistungsspektrum umfasst neben Heil- und Krankenbehandlungen auch Rentenleistungen. Am 1. Januar 2024 ist das neue Soziale Entschädigungsrecht – hier das Vierzehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) – in Kraft getreten. In diesem Zuge wurde auch das Instrument des Fallmanagements neu eingeführt, welches zusammen mit den Traumaambulanzen zu den „Schnellen Hilfen“ zählt.
Schnelle und kompetente Hilfe
Im hessischen Traumatherapie-Netzwerk können Gewaltopfer eine umfangreiche therapeutische Soforthilfe in Anspruch nehmen. „Jeder Betroffene innerhalb des Trauma-Netzwerks hat einen individuellen Schicksalsschlag erlitten. Diese Menschen brauchen vor allem schnelle und kompetente Hilfe, und zwar bereits vor einer Anerkennung durch die Versorgungsverwaltung“, betont Regierungspräsident Ullrich. Die Kooperationspartner, bestehend aus derzeit 21 Fachkliniken und Facheinrichtungen an 23 Standorten, stellen diese therapeutische Hilfe sicher.
Anspruchsberechtigt sind nicht nur die Geschädigten selbst, sondern auch deren Angehörige bzw. Hinterbliebene. Also Ehepartner, Eltern oder Kinder sowie Nahestehende – dies sind Geschwister oder Menschen, die mit der geschädigten Person in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben. Aber auch wer bei der rechtmäßigen Abwehr einer Gewalttat gesundheitlich geschädigt worden ist, kann Leistungen beantragen beziehungsweise in Anspruch nehmen.
„Jeder, der innerhalb Hessens Opfer einer Gewalttat geworden ist und einen Antrag auf Leistungen der Sozialen Entschädigung bereits gestellt hat oder noch stellen möchte, kann eine der kooperierenden Einrichtungen für die Erwachsenen- sowie auch der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufsuchen und erhält dort, sofern notwendig, kurzfristig therapeutische Hilfe“, sagt Andrea Kaup, Leiterin der Abteilung Soziales im RP Gießen. Der Umfang dieses besonderen Hilfsangebotes beträgt zunächst fünf Sitzungen für Erwachsene und acht Sitzungen für Kinder und Jugendliche, die bei Bedarf um zehn weitere Sitzungen erhöht werden können.
So früh wie möglich
Betroffene können sich direkt an die Einrichtungen wenden, aber auch die Versorgungsämter in Gießen, Kassel, Fulda, Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden stellen den Kontakt her und helfen weiter. Hier wird in Zukunft das Instrument des Fallmanagements an Bedeutung gewinnen, welches geschaffen wurde, um betroffenen Menschen in dieser schwierigen Situation beizustehen und sie mit den damit verbundenen, oft sehr belastenden und ungewohnten Herausforderungen im Bereich der Sozialen Entschädigung nicht alleine zu lassen. Die Unterstützung erfolgt mittels koordinierender Begleitung durch das gesamte Antrags- und Leistungsverfahren. Die Fallmanagerinnen und Fallmanager in den Versorgungsämtern nehmen Kontakt zu den Betroffenen von Gewalttaten zum Beispiel gegen das Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung auf. Sie machen Gesprächsangebote mit dem Ziel, die individuellen Hilfebedarfe der Opfer einer Gewalttat zu ermitteln und das weitere Vorgehen gemeinsam mit den Betroffenen einvernehmlich zu besprechen. Das Fallmanagement fungiert als Bindeglied zwischen den Geschädigten und den möglichen Leistungen der behördlichen Institutionen und Hilfeträger.
„Gerade bei psychischen Traumata ist es wichtig, so früh wie möglich Maßnahmen der Krisenintervention einzuleiten, um dauerhafte seelische Störungen zu vermeiden oder zu mildern“, erläutert RP Ullrich. „Wir wollen alle Betroffenen ermutigen, die Hilfe des Traumatherapie-Netzwerks in Anspruch zu nehmen und sich gerne auch selbst mit dem Fallmanagement in Verbindung zu setzen. Ereignisse wie auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 oder in Hanau im Februar 2020 haben uns gezeigt, wie wichtig derartige Angebote sind.“
Eine Übersicht aller kooperierenden Einrichtungen des Traumatherapie-Netzwerks sowie weitere Informationen sind auf der Internetseite des Regierungspräsidiums unter https://rp-giessen.hessen.de/opferbetreuung-und-opfersoforthilfe-in-hessen zu finden.
Entsprechende Anträge auf Versorgungsleistungen nach dem Recht der Sozialen Entschädigung sind in Hessen an eines der sechs Hessischen Ämter für Versorgung und Soziales, die der Fachaufsicht des Regierungspräsidiums Gießen unterstehen, zu richten. Hier können auch die Fallmanagerinnen und Fallmanager erreicht werden. Die Leistungen in einer Traumaambulanz können für die ersten beiden Sitzungen ohne Antrag in Anspruch genommen werden. Ebenfalls ist eine Kontaktaufnahme des Fallmanagements vor einer Antragstellung möglich.
Hintergrund
Der Tag der Kriminalitätsopfer findet alljährlich am 22. März statt. Dieser Aktionstag wurde 1991 vom „Weißen Ring“ ins Leben gerufen. Erinnert wird dabei an die Situation der durch Kriminalität und Gewalt geschädigten Menschen, die auf Schutz, praktische Hilfe und Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind. Die Idee des Weißen Rings nahm das RP Gießen im Jahr 2015 mit der Gründung eines Netzwerks von Kliniken auf, umTrauma-Opfern möglichst unbürokratisch und schnell durch therapeutische Angebote zu helfen. Im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration entwickelte das Regierungspräsidium ein Konzept für ein fachärztliches und fachpsychologisches Netzwerk, durch das den Betroffenen in allen Regionen Hessens fachkompetente Untersuchung und Therapie angeboten werden kann. Das bisherige OEG-Trauma-Netzwerk war eine freiwillige Leistung des Landes. Seit dem Jahr 2021 ist sie gesetzlich verankert und wurde zum 01.01.2024 in Traumatherapie-Netzwerk Hessen umbenannt. Dies geschah im Zuge der Reform des Sozialen Entschädigungsrechts.