Gießen. Gewaltvolle Ereignisse erschüttern – die unmittelbar Betroffenen, aber auch Menschen in deren Umfeld. Viele brauchen in dieser Situation eine schnelle Hilfe. Die kommt in solchen Fällen auch vom hessischen Traumatherapie-Netzwerk, ehemals OEG-Trauma-Netzwerk. Seit fast zehn Jahren bietet es Gewaltopfern hessenweit psychotherapeutische Soforthilfe und Opferbetreuung. Koordiniert wird es im Regierungspräsidium Gießen. „Im Vorjahr haben erneut viele Menschen die fachspezifische Behandlung in einer kooperierenden Trauma-Ambulanz in Anspruch genommen“, erklärt Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich anlässlich des Tags der Kriminalitätsopfer am Samstag, 22. März.
Mehr noch: Wer in Deutschland einen gesundheitlichen Schaden durch eine Gewalttat erlitten hat, kann Versorgungsleistungen nach dem Recht der Sozialen Entschädigung erhalten. Das Leistungsspektrum umfasst neben Heil- und Krankenbehandlungen auch Rentenleistungen. Anfang 2024 ist das neue Soziale Entschädigungsrecht – hier das Vierzehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) – in Kraft getreten. In diesem Zuge wurde auch das Instrument des Fallmanagements neu eingeführt, das zusammen mit den Traumaambulanzen zu den „Schnellen Hilfen“ zählt.
Schnelle und kompetente Hilfe
Im hessischen Traumatherapie-Netzwerk können Gewaltopfer eine umfangreiche therapeutische Soforthilfe in Anspruch nehmen. „Jeder Betroffene innerhalb des Netzwerks hat einen individuellen Schicksalsschlag erlitten“, betont Regierungspräsident Ullrich. „Diese Menschen brauchen vor allem schnelle und kompetente Hilfe, und zwar bereits vor einer Anerkennung durch die Versorgungsverwaltung.“ Die Kooperationspartner, bestehend aus derzeit 22 hessenweit vertretenen Fachkliniken und -einrichtungen, stellen diese therapeutische Hilfe sicher.
Anspruchsberechtigt sind nicht nur die Geschädigten selbst, sondern auch deren Angehörige bzw. Hinterbliebene, also Ehepartner, Eltern oder Kinder sowie Nahestehende. Dies können Geschwister oder Menschen sein, die mit der geschädigten Person in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben. Aber auch wer bei der rechtmäßigen Abwehr einer Gewalttat gesundheitlich geschädigt worden ist, kann Leistungen beantragen beziehungsweise in Anspruch nehmen.
„Jeder, der innerhalb Hessens Opfer einer Gewalttat geworden ist und einen Antrag auf Leistungen der Sozialen Entschädigung bereits gestellt hat oder noch stellen möchte, kann eine der kooperierenden Einrichtungen für die Erwachsenen- sowie auch der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufsuchen und erhält dort, bei Bedarf, kurzfristig therapeutische Hilfe“, sagt Andrea Kaup, Leiterin der Abteilung Soziales im RP Gießen. Der Umfang dieses besonderen Hilfsangebotes beträgt zunächst fünf Sitzungen für Erwachsene und acht Sitzungen für Kinder und Jugendliche, die, falls notwendig, um zehn weitere Sitzungen erhöht werden können.
Versorgungsämter helfen weiter
Betroffene können sich direkt an die Einrichtungen wenden, aber auch die Versorgungsämter in Darmstadt, Frankfurt, Fulda, Gießen, Kassel und Wiesbaden stellen den Kontakt her und helfen weiter. Ebenfalls stehen dort Fallmanagerinnen und -manager bereit, die Betroffene aktivierend und koordinierend durch das Antragsverfahren und Leistungsverfahren begleiten. Sie stehen Berechtigten während des gesamten Verfahrens persönlich zur Verfügung und ermitteln unter anderem den möglichen Hilfebedarf und weisen auch auf andere in Betracht kommende Sozialleistungen hin.
„Gerade bei psychischen Traumata ist es wichtig, so früh wie möglich Maßnahmen der Krisenintervention einzuleiten und ergänzende Hilfe in Anspruch zu nehmen, um dauerhafte seelische Störungen zu vermeiden oder zu mildern“, erläutert RP Ullrich. „Wir wollen alle Betroffenen ermutigen, sowohl die Hilfe des Traumatherapie-Netzwerks in Anspruch zu nehmen, als auch sich gerne selbst mit dem Fallmanagement in Verbindung zu setzen. Ereignisse wie auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 oder die jüngsten Ereignisse aus Aschaffenburg, Magdeburg, München und Mannheim haben uns gezeigt, wie wichtig derartige Angebote sind.“
Eine Übersicht aller kooperierenden Einrichtungen des Traumatherapie-Netzwerks sowie weitere Informationen sind auf der Internetseite des Regierungspräsidiums unter https://rp-giessen.hessen.de/opferbetreuung-und-opfersoforthilfe-in-hessen zu finden.
Um herauszufinden, welches Versorgungsamt für die Versorgungsberechtigten zuständig ist, kann dies unter Welches Versorgungsamt ist für mich zuständig? | rp-gießen.hessen.de nachvollzogen werden.
Entsprechende Anträge auf Versorgungsleistungen nach dem Recht der Sozialen Entschädigung sind in Hessen an eines der sechs Hessischen Ämter für Versorgung und Soziales, die der Fachaufsicht des Regierungspräsidiums Gießen unterstehen, zu richten. Hier können auch die Fallmanagerinnen und -manager erreicht werden. Die Leistungen in einer Traumaambulanz können für die ersten beiden Sitzungen ohne Antrag in Anspruch genommen werden. Ebenfalls ist eine Kontaktaufnahme des Fallmanagements vor einer Antragstellung möglich.
Hintergrund: Tag der Kriminalitätsopfer
Der Tag der Kriminalitätsopfer findet alljährlich am 22. März statt. Dieser Aktionstag wurde 1991 vom Weißen Ring ins Leben gerufen. Erinnert wird dabei an die Situation der durch Kriminalität und Gewalt geschädigten Menschen, die auf Schutz, praktische Hilfe und Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind. Die Idee des Weißen Rings nahm das RP Gießen im Jahr 2015 mit der Gründung eines Netzwerks von Kliniken auf, umTrauma-Opfern möglichst unbürokratisch und schnell durch therapeutische Angebote zu helfen.
Das Regierungspräsidium Gießen hatte ein Konzept für ein fachärztliches und -psychologisches Netzwerk entwickelt, durch das den Betroffenen in allen Regionen Hessens fachkompetente Untersuchung und Therapie angeboten werden kann. Ebenfalls Unterstützung bietet das im Zuge der Reform des Sozialen Entschädigungsrechts zum 1. Januar 2024 eingeführte Fallmanagement.