Ehringshausen/Niederlemp. Trotz der heißen Sommertemperaturen versammelten sich nördlich von Niederlemp zahlreiche Mitglieder der Vogel- und Naturschutzgruppe Niederlemp e.V. mit Vertretern aus Naturschutzring Ehringshausen, Forstamt sowie Regierungspräsidium Gießen zur feierlichen Übergabe eines Pachtvertrags an die Bio-Schafzüchterei aus Hohenahr, die sich für die Folgepflege der über 2 ha renaturierten Magerrasenfläche erklärte.
„Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren:
Was sie willenlos ist, sei du es wollend – das ists!“, zitierte ein Vereinsmitglied andächtig Schiller. Der Verein hat Willen gezeigt und die Landschaft, in der viele aufgewachsen sind und sich zuhause fühlen ein Stück schöner und artenreicher gestaltet. „Dieses ehrenamtliche Engagement ist entscheidend für den Erfolg von Naturschutzmaßnahmen und trägt maßgeblich dazu bei, dass solche Projekte realisiert und ihre Ziele erreicht werden können“, lobte Dezernatsleiter Gerrit Oberheidt anerkennend.
Vor sechs Jahren konnte sich das noch keiner richtig vorstellen. Der Grünland-Magerrasen-Komplex auf den süd-exponierten Hangflächen im Projektgebiet, auf denen sonst typische Pflanzen wie Heidenelke, Katzenpfötchen oder Bauernsenf anzutreffen sein müssten, war zu Beginn des Projekts nahezu vollständig zerstört. Der größte Teil des Projektgebiets wurde zuvor dauerhaft und mehrjährig als Pferdeweide genutzt. Zu viele Tiere auf der Weide, die über einen zu langen Zeitraum am selben Ort gegrast und mit ihren Hufen den Bewuchs niedergetreten haben. Zurück blieb eine zerstörte Bodenoberfläche, kahle Stellen mit wenigen unerwünschten Pflanzenarten.
Die nördlich von Niederlemp gelegenen Projektflächen grenzen unmittelbar an Schutzgebiete unterschiedlicher Kategorie an oder liegen teilweise darin. Das Natura-2000-Gebiet "Wacholderheiden und Grünland nördlich von Niederlemp" umfasst einen der naturschutzfachlich bedeutendsten Magergrünlandkomplexe Hessens. Der abrupte Wechsel zwischen geschützter Natur und zerstörtem Lebensraum unterbricht nicht nur das Landschaftsbild, sondern hat zur Folge, dass sich die vorkommenden Tier- und Pflanzenarten nur sehr schwer über die Schutzgebietsgrenzen hinaus ausbreiten können.
Magerrasen sind nährstoffarme, artenreiche Grünlandflächen, deren Entstehung auf eine jahrhundertelange, extensive landwirtschaftliche Nutzung zurückzuführen ist. Sie bieten verzahnt mit den geschützten Wacholderheiden vielen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten ein wertvolles und leider vielerorts rückläufiges Habitat.
Um die biologische Vielfalt zu erhalten und den Artenschutz zu fördern, war es den Naturschützenden ein großes Anliegen, den ursprünglichen Magerrasenstandort wiederherzustellen, zu entwickeln und eine ökologische und naturnahe Bewirtschaftung zu fördern. Der Vogel- und Naturschutzgruppe Niederlemp e.V. gelang es zu Projektbeginn mehrere Flurstücke zu erwerben und diese somit langfristig für den Naturschutz zu sichern. Nach Beendigung der intensiven Pferdebeweidung konnte der Magerrasen schrittweise rückentwickelt werden. Stark niedergetretener und durch Pferdemist sowie Futterreste eutrophierter Oberboden wurde abgeschoben und der verbleibende Nährstoffgehalt durch ein intensives Mahdregime reduziert. Anschließend erfolgte eine Mahdgutübertragung aus den angrenzenden Schutzgebieten, um so die gewünschten Magerrasenarten wieder anzusiedeln.
Zur Erhöhung der Strukturvielfalt wurden regional hochstämmige Obstbäume innerhalb bereits bestehender aber überalterter Streuobstbestände gepflanzt. Die zusätzlich neu angepflanzten Heckenstreifen dienen als wichtige Landschaftselemente und bieten vielen Tieren und Pflanzen Schutz oder Nahrung. Die Gestaltung des Lebensraums stärkt vor allem die Vorkommen, der im Vogelschutzgebiet vorhandenen Halboffenlandarten wie bspw. Rotmilan, Neuntöter oder verschiedene Specht-Arten. Zusätzlich wurden ein Flachwassertümpel und Trockenbiotope für wärmeliebende Arten wie Eidechsen und Kröten angelegt.
Schließlich gelang es der Vogel- und Naturschutzgruppe Niederlemp e.V. einen wichtigen Magerrasenstandort und damit Lebensraum vieler gefährdeter Pflanzen- und Tierarten wiederherzustellen sowie einen vielfältigen Biotopverbund und zugleich harmonische Verbindung zwischen dem FFH-Gebiet „Wacholderheiden und Grünland nördlich von Niederlemp“, dem Naturschutzgebiet „Wacholderheiden bei Niederlemp“, dem Vogelschutzgebiet „Hörre bei Herborn und Lemptal“) und der Ortsrandlage Niederlemp in der Gemeinde Ehringshausen herzustellen.
Von den Maßnahmen profitieren verschiedene in Hessen beheimatete und teils gefährdete Tier- und Pflanzenarten der Roten Liste. Dazu zählen Vogelarten wie Heidelerche, Wendehals, Raubwürger, Grauspecht, Neuntöter, zahlreiche Heuschrecken und Tagfalter wie z.B. Schwarzfleckiger Heide-Grashüpfer, Warzenbeißer und Blauflügelige Ödlandschrecke. Ein abschließendes Monitoring bestätigte, dass sich auf den Projektflächen durch die Saatgutübertragung wieder magerrasentypische und gefährdete Pflanzenarten wie Aufrechte Weißmiere, Bauernsenf, Streifen-Klee und Trespen-Federschwingel etablieren konnten.
Die Vogel- und Naturschutzgruppe Niederlemp e.V. blickt mit Stolz auf die Arbeiten zurück und freute sich besonders über die Zusage einer Bio-Schafzüchterei aus Hohenahr, die zukünftig für eine optimale Folgepflege der Flächen sorgen wird. Ziegen und einige Esel kümmern sich derzeit darum, den Pflanzenaufwuchs und Gehölzausschläge gering zu halten. Durch diese Form der extensiven Bewirtschaftung kann der Magerrasen und die neu entstandene Artenvielfalt bestmöglich erhalten und gefördert werden.
Die Planung und Koordination der Maßnahmen erfolgte durch die Vogel- und Naturschutzgruppe Niederlemp e.V. mit Unterstützung durch das Forstamt Wetzlar und das Regierungspräsidium Gießen. Das Projekt „Magerrasenentwicklung für die Förderung von an grünlandgebundenen Vogelarten“ wurde aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) durch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Hessen mit knapp 120.000 Euro gefördert. Das Regierungspräsidium Darmstadt als landesweit zuständige Behörde hatte den Förderantrag bewilligt. Die Obere Naturschutzbehörde des Regierungspräsidiums Gießen wiederum war unter anderem für die fachliche Prüfung und Projektbegleitung zuständig.