Mehrere Frauen und ein Mann beugen sich über einen Tisch, auf dem Petrischalen mit kleinen Flussbewohnern stehen und zählen die Tiere.

Regierungspräsidium Gießen

Ein Eimer voller Leben

Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Gießen und Studentinnen untersuchen den ökologischen Zustand des Dünsbergbachs in Biebertal

Gießen/Biebertal. Alles steht bereit. Zwei Tische samt Bänken, dazu etliche Eimer, ein Kescher, Pinzetten, kleine Siebe, Petrischalen und nicht zu vergessen ein Mikroskop. Es kann losgehen an diesem sonnigen Morgen in Biebertal. Ausgerüstet mit einer Wathose schnappt sich Marc Sonnleitner einen der Eimer. Dann geht der Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Gießen zusammen mit seiner Kollegin Elisabeth Kister zum Dünsbergbach, um Kies, Sand und Schlamm zu holen – und damit auch einen Eimer voller Leben. Denn was auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennbar ist: Selbst in diesem einen Eimer tummeln sich mehrere hundert Tiere. Köcherfliegenlarven mit und ohne Köcher, Bachflohkrebse, Steinfliegenlarven sowie Faden- und Strudelwürmer. Genau diese Tiere suchen Marc Sonnleitner und Elisabeth Kister zusammen mit einigen Studentinnen. Sie beteiligen sich am Flow-Projekt des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ, Leipzig) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Es hat zum Ziel, gemeinsam mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern den ökologischen Zustand von kleinen Bächen zu untersuchen und zu bewerten.

Und genau das passiert an diesem Tag am Dünsbergbach. 20 Proben auf 100 Metern werden aus flachen und tiefen Bereichen entnommen und untersucht. Die Tiere, die sich im Schotter, Sand und Schlamm oder auch im Geäst versteckt hatten, werden im wahrsten Sinne des Wortes unter die Lupe genommen. Dabei ist nicht nur ein gutes Auge gefragt, sondern vor allem Fingerspitzengefühl im Umgang mit der Pinzette. Denn die kleinen Tiere sind flink. Um sie zählen zu können, werden sie in Petrischalen gesetzt. Manche davon werden unter dem Mikroskop genauer betrachtet, um sie ihrer entsprechenden Tierfamilie zuordnen zu können. Probe für Probe wird dokumentiert, bevor die Tiere wieder in die Freiheit entlassen werden. Ergänzend dazu wird die Wasserqualität untersucht. Wie sind Nitrit- und Nitratgehalt? Wie hoch sind die Gesamthärte und der pH-Wert? Und nicht zu vergessen: Wie hoch ist der Sauerstoffgehalt? Auch auf diese Fragen gibt es an diesem Tag Antworten. Sie werden in einer Online-Plattform eingetragen und von der Projektleitung zentral gesammelt und ausgewertet.

An solchen Bächen kann man Interessierten am besten zeigen, wie unheimlich vielfältig Gewässerlebensräume sein können.

Marc Sonnleitner RP-Mitarbeiter

Für Marc Sonnleitner, der einen Master-Abschluss in angewandter Gewässerökologie hat und seit eineinhalb Jahren in der Oberen Fischereibehörde im Regierungspräsidium Gießen arbeitet, ist es ein spannendes Projekt. Während seiner Zeit an der Universität für Bodenkultur in Wien hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter schon oft Gewässeruntersuchungen begleitet und unterstützt, hat also schon viele dieser Lebensräume erkundet. Was den Dünsbergbach angeht, hat ihn besonders die Strömungs- und Strukturvielfalt des Gewässers beeindruckt. „An solchen Bächen kann man Interessierten am besten zeigen, wie unheimlich vielfältig Gewässerlebensräume sein können“, sagt er.

Für die unscheinbaren Kleinstlebewesen ist neben dem Wasser und dessen Beschaffenheit auch ein intaktes Gewässerumfeld wichtig, um sich so richtig wohlzufühlen. So sorgt ein standortgerechter Uferbewuchs mit Weiden und Erlen beispielsweise dafür, dass wichtiges Totholz und Laub ins Wasser fallen. Vor allem Letzteres ist die Nahrungsgrundlage von Bachflohkrebsen, die an diesem Tag zahlreich im Dünsbergbach gefunden werden. Rund 2.500 dieser Tiere machen Sonnleitner, seine Kollegin Kister und die Studentinnen der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Technischen Hochschule Mittelhessen aus. Auf Platz zwei der meistgefundenen Tiere landen Köcherfliegen mit rund 300 Exemplaren und auf Platz drei die Gemeine Eintagsfliege mit 235 Individuen. Gefunden werden auch Faden- und Strudelwürmer und sogar ein kleiner Molch.

„Erfreulich ist der insgesamt hohe Anteil an Köcher-, Stein- und Eintagsfliegen. Diese sind grundsätzlich sensibler gegenüber Beeinträchtigungen des aquatischen Lebensraums als andere Tiergruppen. Ihre Anwesenheit belegt im Umkehrschluss also einen ökologisch wertvollen Bachlauf mit verschiedensten Mikrohabitaten ohne übermäßige Verschmutzung, wie sie zum Beispiel durch Einträge aus der Landwirtschaft stattfindet“, fasst Marc Sonnleitner zusammen. Alles in allem sagt er über den Dünsbergbach: „Die Strukturgüte befindet sich in einem guten Zustand. Hinsichtlich der Schadstoffbelastung, ist er sogar in einem sehr guten Zustand!“

Hintergrund: Flow-Projekt

Das Ziel der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist ein guter ökologischer Zustand aller Oberflächengewässer. Im Fokus stehen dabei größere Fließgewässer. Kleine Gewässer werden jedoch kaum berücksichtigt. Die Folge: Es gibt zu wenige Daten über den Ist-Zustand von Bächen und Co. Das Flow-Projekt des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ, Leipzig) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig hat daher das Ziel, den Zustand kleiner Fließgewässer und Bäche zu untersuchen und zu bewerten. Das geschieht gemeinsam mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Am Flow-Projekt beteiligen sich unter anderem Schulen, Hochschulen, Anglerverbände, Nabu-Gruppen und eben auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden wie dem Regierungspräsidium Gießen. 

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Oliver Keßler

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