Gießen/Lahn-Dill-Kreis. In Martas Bett liegt neben dem Hai mit flauschiger Flosse auch eine Schultüte aus Stoff. Seit diesem Sommer ist das sechsjährige Mädchen nämlich ein Schulkind. Zuletzt hat sie jedoch immer wieder im Unterricht gefehlt. Phelan-McDermid-Syndrom lautet ihre Diagnose. Nur eine Winzigkeit, dafür mit weitreichender Folge: Am Chromosom 22 fehlt ein kleiner Baustein. Marta ist außergewöhnlich schwer betroffen. Manchmal kann sie nur schwer atmen und immer wieder treten völlig überraschend Krampfanfälle auf. Dass sie ein möglichst normales Leben führen kann, dafür sorgen ihre Eltern und die beiden Brüder. Unterstützt wird die Familie seit Juni vom Kinder-Palliativ-Team Mittelhessen des Universitätsklinikums Gießen-Marburg (UKGM), das zum wöchentlichen Hausbesuch in der Wohnung im Lahn-Dill-Kreis zu Besuch ist. Mit dabei ist an diesem Tag auch Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich in seiner Funktion als Schirmherr, um sich über die Arbeit zu informieren.
Enges Vertrauensverhältnis
„Wie geht’s denn Marta momentan?“, fragt Teamleiterin Dr. Vera Vaillant. Sie ist Kinderärztin und auf Palliativmedizin spezialisiert. Die Atmung sei abends wieder schwerer, sagt die Mutter. „Das Essen klappt mal, dann klappt es wieder nicht.“ Ein Gerät piepst. Es misst die Sauerstoffsättigung und den Puls. Der Besuch der Förderschule funktioniere einwandfrei. „Da wird alles lösungsorientiert gehandhabt“, berichtet Martas Vater. In den ersten fünf Lebensjahren hat sich die Familie weitgehend selbst organisiert. Sie pflegten Marta rund um die Uhr, sind mit anderen Betroffenen gut vernetzt oder erstellten sich selbst einen Plan für die vielen Medikamentengaben. Die Eltern sind im Laufe der vergangenen Jahre zu Experten im Umgang mit der schweren Erkrankung ihres Kindes geworden. Mittlerweile hat Marta sogar Anspruch auf eine Pflegekraft, die sie dauerhaft begleitet.
Während Marta auf dem Schoß ihrer Mutter sitzt, klärt Ärztin Dr. Vaillant im Gespräch am Tisch die wichtigsten Punkte zum aktuellen gesundheitlichen Zustand. Da das Kinder-Palliativ-Team seit Juni wöchentlich kommt, ist ein enges Vertrauensverhältnis gewachsen, von dem alle profitieren: die Eltern genauso wie das Team - vor allem aber Marta. Es folgt eine routinierte Untersuchung. Martas Lunge und Bauch werden abgehört, der Zugang vom Katheter in den Magen, kurz PEG genannt, angeschaut und ein Blick in die Ohren und den Mund geworfen.
Seit Anfang des Jahres hatte sich Martas gesundheitlicher Zustand stark verschlechtert. Das Paar entschied sich deshalb, das Kinder-Palliativ-Team Mittelhessen erneut hinzuzuziehen, von dem sie 2019 schon einmal unterstützt wurden. „Das, was vor einem halben Jahr funktioniert hat, funktionierte plötzlich nicht mehr“, berichtet Kinderkrankenschwester Beate Volbrecht über die Belastung der Eltern im Leben mit einem schwer kranken Kind. Sie besucht mit der Ärztin regelmäßig die Familie. „Unsere Arbeit ist darauf ausgerichtet, Stabilität und Sicherheit zu vermitteln.“ Im Vordergrund stehe einerseits Martas Lebensqualität, wie die Kinderärztin betont. „Andererseits ist es für uns genauso wichtig, die Bedürfnisse der Familie mit zu berücksichtigen“, erläutert Vera Vaillant.
Ein Herzensanliegen
„Das kann man sich gar nicht vorstellen, was das für eine Entlastung und eine Hilfe ist, wenn wir jetzt in Akutsituationen nicht mehr alleine handeln müssen“, sagt die Mutter. Das Team ist nicht nur rund um die Uhr für die Eltern von aktuell 16 Kindern in ganz Mittelhessen erreichbar, es berät und kommt im Zweifelsfall auch sofort zu den Familien nach Hause. Außerdem koordiniert es die verschiedenen Unterstützungsstrukturen und hilft dabei, patientenorientierte Medikamentenpläne zu erstellen und diese immer wieder auf die Symptome abzustimmen. Basierend auf den individuellen Bedürfnissen und Wertevorstellungen der kleinen Patientinnen und Patienten sowie ihrer Familien werden gemeinsame Therapieziele, ein vorausschauender Behandlungsplan und das Vorgehen in Notfallsituationen besprochen und erarbeitet.