Gießen/Marburg. In der Winterzeit, wenn es draußen kalt ist und schneit, machen wir Menschen es uns gerne auf der Couch und vor dem Kamin gemütlich. Ganz anders geht mit dem Beginn der nasskalten Jahreszeit ein spezieller Bewohner unserer Fließgewässer um. Der europäische Aal tritt mit Einbruch des Winters und den ersten Hochwasserereignissen seine circa 6.000 (!) Kilometer lange Reise zu den Laichgründen in der Sargassosee östlich von Florida an. Um die abwandernden Aale dabei zu unterstützen, betreuen zahlreiche ehrenamtliche Helfer des Fischereivereins Marburg und Umgebung e.V. sowie der Fischereibiologe Dr. Dirk Hübner (Bürogemeinschaft für Fisch- und Gewässerökologische Studien Marburg) seit 2016 ein „Aal-Taxi“. Beauftragt wird der Fischereibiologe jeweils vom Regierungspräsidium Gießen.
Damit das „Aal-Taxi“ starten kann, müssen die Helfer die sogenannten Blankaale der Lahn natürlich erst einmal fangen. Das passiert in einem Aalfang in Marburg, der 2016 für das Projekt reaktiviert wurde. Das Regierungspräsidium Gießen stellte dabei für bauliche Maßnahmen sowie für eine Hälteranlage Mittel der hessischen Biodiversitätsstrategie zur Verfügung.
Bei Wind und Wetter im Einsatz
Doch das mit dem Fangen ist gar nicht so einfach. Denn auch hier macht es der natürliche Lebenszyklus des Aals den Beteiligten nicht leicht. Die Hauptabwanderungsperiode wird vor allem durch spätherbstliche Hochwasserereignisse ausgelöst. Zusätzlich wandert ein Großteil der Tiere während der Dunkelheit ab. Das heißt, die Helfer rücken mit Beginn der Dämmerung aus und sind jeweils bis zum späten Abend im Einsatz – und das über mehrere Wochen und bei Wind und Wetter. Die Bedingungen, unter denen das Arbeitsteam die Aale keschert, die in der Gitterkonstruktion gefangen wurden, sind also widrig. Aber die Aktionen waren und sind gleichermaßen wichtig und erfolgreich: Allein in den vergangenen drei Jahren wurden dabei über 700 Aale mit einem Gesamtgewicht von circa 650 Kilogramm gefangen.
Die gefangenen Aale werden jeweils im Anschluss in ein Hälterbecken befördert und anschließend in das „Aal-Taxi“ verladen, das sie dann an den Rhein nahe Lahnstein transportiert. Neu ist in diesem Jahr, dass ein Großteil der gefangenen Tiere dem Interreg-Projekt „Rhein verbindet – Teilprojekt Knakaal“ gespendet wurde. Im Rahmen des Projekts werden die Aale in Köln markiert und im Anschluss dort in den Rhein entlassen. Ziel ist es, die Auswirkungen der Schifffahrt im Niederrhein auf die abwandernden Aale aufzuzeigen. Mehr Informationen zum Projekt, an dem Bürgerinnen und Bürger übrigens selbst teilnehmen können, gibt es im Internet unter https://www.derrheinverbindet.de/nachrichten/ab-november-freiwillige-fuer-die-suche-nach-markierten-aalen-in-waal-und-rhein-gesucht/Öffnet sich in einem neuen Fenster.
Viele Hindernisse
Doch warum überhaupt dieser ganze Aufwand? „Diese und viele weitere Maßnahmen sind notwendig, da viele Wanderhindernisse die Abwanderung der Aale behindern“, erklärt Marc Sonnleitner von der Oberen Fischereibehörde beim Regierungspräsidium Gießen. An Querbauwerken ist den sogenannten Blankaalen das Weiterkommen entweder ganz verwehrt oder nur unter sehr gefährlichen Bedingungen möglich, denn an Wasserkraftanlagen müssen sie meist schnell rotierende Turbinen passieren. Dabei gilt es allein von Marburg bis zur Mündung in den Rhein 29 dieser Anlagen zu überwinden. Nur wenige dieser Anlagen erfüllen die gesetzlich vorgeschriebenen Standards für Fischabstiegs- und -schutzeinrichtungen. „Auch wenn die gesetzlichen Vorgaben für den Bau dieser Einrichtungen verpflichtend sind, wird es noch einige Zeit dauern, bis diese an allen Anlagen vorhanden sind“, weiß Sonnleitner.
Umso mehr freut er sich, dass den Lahn-Aalen auch dieses Jahr der Weg zu den Laichgründen erleichtert und zusätzlich ein wichtiger Beitrag zu einem wissenschaftlichen Projekt geleistet wird. „Ein großer Dank gilt daher den ehrenamtlichen ,Aalfängern‘, die in etlichen Nächten bei klirrender Kälte den Aalfang in Marburg betreuen“, betont der RP-Mitarbeiter. Sie werden vermutlich bis Weihnachten im Einsatz sein. Für die Aale ist die Reise dann noch lange nicht abgeschlossen – mindestens ein Jahr werden sie brauchen, bis sie in der Sargassosee ankommen. Dort laichen sie ab und sterben dann. Für ihre Nachkommen beginnt dann wiederum die Reise. „Für die sogenannten ,Weidenblattlarven‘ geht es im Anschluss mit dem Golfstrom wieder zurück in Richtung Europa, wo sie dann wiederum als ,Gelbaale‘ in den Rhein und andere Gewässer aufsteigen“, erklärt Marc Sonnleitner.